Die Eurozone gefangen in den Fesseln des Kredits
Seit zehn Jahren verharrt die Europäische Zentralbank (EZB) im Krisenmodus. Auch wenn die EZB angekündigt hat ihr Quantitative Easing Programm – umfangreicher Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen mit neugeschaffenem Geld – per Ende des Jahres auslaufen zulassen, ist ein Ende des Krisenmodus nicht abzusehen. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika und deren Notenbank schaffen es die Eurozone und die EZB seit Jahren nicht aus der Krise. Da stellt sich unweigerlich die Frage, weshalb die Eurozone nicht aus dem Schlamassel rauskommt, während andere den Krisenmodus seit längerem verlassen haben. Darauf gibt es aus geldtheoretischer Sicht zwei Antworten, welchen nachfolgend erläutert werden.
Jean-Claude Trichets kapitaler Fehler
Abbildung 1: Zinsentwicklung Eurozone vs. USA (Quelle http://leitzinsen.info/)
Die erste Antwort lässt sich im Jahr 2011 finden. Nachdem die EZB im Vergleich zu anderen Notenbanken relativ konservativ reagierte und den Leitzins nur auf 1% senkte (Vgl. Abbildung 1), wollte die EZB um ihren damaligen Präsidenten Jean-Claude Trichet – als einzige und erste bedeutende Notenbank auf der Welt – im Frühjahr 2011 den Ausstieg aus der Krisenpolitik des extrem billigen Geldes wagen. Im April 2011 erhöhte sie den Leitzins von 1% auf 1.25% und im Juli folgte mit der Erhöhung des Leitzinses auf 1.5% ein zweiter Zinsschritt (siehe Abbildung 1). Da die Eurokrise zu diesem Zeitpunkt mitnichten überwunden war, stellten sich die Zinserhöhungen als kapitaler Fehler heraus: Anstatt den Ausstieg zu ermöglichen, brachten die Zinserhöhungen das Kartenhaus der Eurozone erst recht zum Einsturz. Im Sommer 2012 stand die Eurozone deshalb kurz vor dem Kollaps. Erst als Trichets Nachfolger Mario Draghi am 26. Juli 2012 seine berühmten Worte «Whatever it takes to preserve the Euro»[1] aussprach, entspannte sich die Lage. Von einem Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik wagte man nun nicht einmal mehr zu träumen. Das Motto von Draghi prägt seither die Geldpolitik der EZB und führte in der Folge zu einem neuen Programm zur Ausweitung der expansiven Geldpolitik nach dem anderen, jedes noch grösser und umfangreicher als das Vorherige.
Dysfunktionaler Währungsraum
Die zweite Antwort findet sich im europäischen Währungsraum selbst. In Deutschland ist unter Ökonomen eine Debatte um die Target 2-Salden[2] – das Zahlungsverkehrssystem des Euroraums – entbrannt, welche es mittlerweile in fast alle grossen Tageszeitungen geschafft hat. Dabei geht es um die Frage, ob und inwiefern immer weiter ansteigenden Target 2-Salden für Deutschland und deren Bürger ein Problem darstellen. Entscheidend ist: So lange die Eurozone Bestand hat, Länder – wie Italien – nicht aus dem Euro austreten und die Aktiven der nationalen Notenbanken im Eurosystem sich als werthaltig erweisen, sind die Target 2-Salden an sich kein Problem. Das gewaltige Auseinanderdriften der Salden seit der Finanzkrise ist eigentlich ein Symptom dafür, dass die Eurozone ein dysfunktionaler Währungsraum darstellt.
Abbildung 2: Entwicklung der Target-Salden im Euroraum (Quelle FAZ)[3]
Bereits vor der Einführung des Euros wurde der geplante Währungsraum von einer Grosszahl an Ökonomen[4] schwer kritisiert. Unter anderem deshalb, weil die geplante Währungsunion rein auf politischen Überlegungen basierte und ökonomische Gedanken aussenvorgelassen wurden. So liest sich die Doktorarbeit Seigniorage, Defizite, Verschuldung und Europäische Währungsunion des heutigen SNB-Präsidenten Thomas Jordan heute, mehr als 20 Jahre später, «wie der Fahrplan für die Eurokrise.»[5] Bis heute ist der europäische Währungsraum ein Währungsraum mit sehr grosser ökonomischer und zunehmend auch politischer Divergenz[6]. Die für einen Währungsraum essentielle Arbeitsmarktmobilität ist innerhalb Eurozone aus kulturellen und sprachlichen Gründen viel tiefer als zum Beispiel in den USA. Daneben fehlt es dem europäischen Währungsraum bis heute an den nötigen Anpassungsmechanismen[7] und einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik – insbesondere Fiskalpolitik.
Ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende
Im Gegensatz zur tiefen Mobilität des Arbeitsmarktes sind diese Aspekte korrigierbar und so gehen auch einige der Reformvorschläge des französischen Präsidenten Macron in diese Richtung[8]. Es ist jedoch äusserst fraglich, ob die Schaffung von Anpassungsmechanismen und einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik politisch mehrheitsfähig sind. Zudem ist zu befürchten, dass solche Massnahmen zu einer noch grösseren politischen Divergenz innerhalb Europas führen würden. Es ist zudem auch aus ökonomischer Sicht äusserst fraglich, ob eine weitere Zentralisierung die Probleme der Eurozone wirklich löst. Es ist eher wahrscheinlich, dass die Eurozone auch mit diesen Änderungen ein dysfunktionaler Währungsraum bleibt. Die Eurozone befindet sich deshalb in einem Dilemma zwischen einem Ende mit Schrecken oder einem Schrecken ohne Ende. Eigentlich müsste man die Eurozone geordnet zurückbauen, da sich die Dysfunktionalität des Währungsraums kaum beheben lässt. Ein geordneter Rückbau ist jedoch kaum möglich, respektive mit gigantischen Kosten verbunden. Zum einen würden Länder wie Deutschland der totale Verlust ihrer Target 2-Forderungen drohen. Im Falle Deutschlands belaufen sich diese Forderungen mittlerweile nahezu 1000 Milliarden. Zum anderen ist auch bei einem geordneten Rückbau das Risiko sehr gross, dass es zu einem Börsencrash und einer Bankenkrise kommt – einem Ende mit Schrecken. Die Länder der Eurozone sind gefangen in einem Meer aus Krediten und gegenseitigen Abhängigkeiten. Da sich die grundsätzlichen Probleme des Euroraums kaum beheben lassen, stellt die Alternative zum Rückbau, der Erhalt des Währungsraums, keine bessere Option dar. Sie ist mehr ein Schrecken ohne Ende.
Paradoxerweise sorgen die steigenden Target-2-Forderungen dafür, dass die Auswirkungen einer Bereinigung immer grösser werden und viele Verantwortliche ein Schrecken ohne Ende einem Ende mit Schrecken vorziehen. Die ganze Situation erinnert stark an die Grosse Depression der 1930er Jahre, als Europa und die USA in den Fesseln des Goldstandards gefangen waren. Erst das Ende mit Schrecken, der Ausstieg aus dem Goldstandard und die darauffolgende Abwertung, ermöglichte das Ende der Krise[9].
[1] https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2012/html/sp120726.en.html
[2] Eine genauere Erläuterung, was Target 2-Salden sind, findet sich her: https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Aufgaben/Unbarer_Zahlungsverkehr/TARGET2/TARGET2_Saldo/target2_saldo.html
[3] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/das-target-saldo-der-bundesbank-liegt-bei-1000-milliarden-euro-15694675.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0
[4] Neben Jordan kritisierten unzählige andere renommierte Ökonomen wie Milton Friedman oder Martin Feldstein die geplante Währungsunion.
[5] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/thomas-jordan-der-euro-prophet-11607183.html
[6] Insbesondere Feldstein warnte davor, dass der europäische Währungsraum neben ökonomischen Problemen auch zu politischen Spannungen führen werde (siehe Fussnote 4).
[7] Siehe http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/martin-feldstein-im-interview-der-euro-hat-wirtschaftlich-enorm-geschadet-13889760.html
[8] https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-04/eu-reform-emmanuel-macron-frankreich-parlament-reaktionen-deutschland
[9] Eichengreen, B. (1992). Golden Fetters: The Gold Standard and the Great Depression, 1919-1939.
Danke für Ihre Ausführungen, Herr Schwald, denen ich weitgehend zustimmen kann. Zur Abrundung Ihres Blogs kann ich ein paar zusätzliche Argumente unter der Überschrift “Die Lebenslügen des Euro” vom 09.07.2018 beisteuern – siehe: https://kubraconsult.blog/2018/07/09/die-lebensluegen-des-euro/ (Englische Fassung: https://kubraconsult.blog/2018/07/24/the-life-lies-of-the-euro/).