Europas Wachstumsschwäche – Eine Analyse: Teil 4
Die wirtschaftliche Stagnation Europas seit der Finanzkrise 2008/09 ist ein vielschichtiges Problem. Strukturelle Schwächen, politische Fehlentscheidungen und externe Herausforderungen haben die Wirtschaft des Kontinents nachhaltig beeinträchtigt.
Teil 1: Banken- und Finanzsystem: Eine unvollständige Erholung
Teil 2: Eurokrise: Mangelnde Solvenz, strukturelle Defizite und kein optimaler Währungsraum
Teil 3: Überregulierung: Hemmnis für Innovation und Wachstum
Produktivitätsstagnation: Ein langfristiges Wachstumsproblem
Die Produktivität ist ein zentraler Indikator für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes oder einer Region. Seit der Finanzkrise 2008/09 hat sich das Produktivitätswachstum in Europa jedoch erheblich verlangsamt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und gehen über kurzfristige Schocks hinaus.
⚛️Technologischer Rückstand und Digitalisierung
Ein Bericht der Europäischen Kommission zeigt, dass Europa im globalen Wettbewerb um Schlüsseltechnologien hinter die USA und China zurückgefallen ist. Besonders bei digitalen Technologien, Künstlicher Intelligenz und Automatisierung verzeichnet Europa Defizite, die langfristig das Produktivitätswachstum beeinträchtigen (EU-Kommission, 2024). Die mangelnde Digitalisierung von KMU und die unzureichende Nutzung moderner Technologien in der Industrie sind zentrale Problemfelder. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) könnte eine verstärkte digitale Transformation das Produktivitätswachstum in der EU und insbesondere in Deutschland deutlich steigern (Röhl et al, 2021).
👩🏻🔬Unzureichende Investitionen in Forschung und Entwicklung
Die Finanzkrise hinterliess langfristige Narben in der europäischen Wirtschaft. Hohe Verschuldung, strikte Sparmassnahmen und die ungleichmässige Erholung zwischen den Mitgliedstaaten führten dazu, dass dringend notwendige Investitionen ausblieben.
Daraus resultiert ein Rückstand bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E). Laut der UN und der OECD betrug der Anteil der F&E-Ausgaben am BIP in Europa im Jahr 2021 durchschnittlich etwas mehr 2 %, während Länder wie die USA (3,46 %), Südkorea (4,93 %) und Israel (5,56 %) deutlich höhere Werte erreichten (The Global Economy, 2021). Selbst China hat die EU zwischenzeitlich überholt, wie die Europäischen Investitionsbank (EIB) 2019 feststellte (EIB, 2019). Die Denkfabrik Bruegel schätzt, dass bis 2030 mindestens 481 Milliarden Euro fehlen, um die notwendigen Investitionen für den ökologischen und digitalen Wandel in der EU zu decken (Hochwarth, 2024).
Der Bericht Innovation – Überblick 2023 der EIB hebt hervor, dass gezielte Förderprogramme und Investitionen in Innovationscluster notwendig sind, um diese Lücken zu schliessen (EIB, 2023).
👷Arbeitsmarktstrukturen und Innovationshemmnisse
Europa leidet zudem unter rigiden Arbeitsmarktstrukturen, die die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft erschweren. Hohe Regulierungskosten, administrative Hürden und eine geringe Flexibilität in der Arbeitsorganisation behindern produktivitätssteigernde Innovationen. Die Arbeitsmobilität im europäischen Raum ist trotz Personenfreizügigkeit im Vergleich zu den USA oder China bedeutend tiefer (O’Rourke & Taylor, 2013). Ein Bericht des International Monetary Fund (IMF) hebt hervor, dass Europa eine stärkere Integration von Arbeitsmarktreformen und Innovationsstrategien benötigt, um das Potenzial des Binnenmarkts vollständig auszuschöpfen (IMF, 2021).
🌍 Regionale Unterschiede und Empfehlungen
Die Produktivitätsentwicklung zeigt starke Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten der EU. Während Länder wie die nordischen Staaten produktivitätssteigernde Reformen vorangetrieben haben, bleiben Länder in Südeuropa aufgrund struktureller Schwächen und unzureichender Reformen zurück. Der Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums zeigt, dass Länder mit gezielten Investitionen in Bildung und digitale Infrastruktur eine höhere Produktivität erzielen können (WEF, 2023).
Zusätzlich hebt die OECD hervor, dass der Aufbau von Innovationsclustern und die Stärkung der digitalen Infrastruktur essenziell sind, um die bestehenden Disparitäten zu reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit Europas langfristig zu sichern (OECD, 2022).
🔍 Fazit: Produktivitätsstagnation als ein zentrales Wachstumshemmnis
Zusammenfassend bleibt die Produktivitätsstagnation ein zentrales Wachstumshemmnis in Europa. Ohne gezielte Massnahmen – wie Investitionen in F&E, die Förderung digitaler Transformation und Arbeitsmarktreformen – droht Europa, im globalen Wettbewerb weiter zurückzufallen.
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📜 Quellen
EIB (2019). Innovation – so kann Europa verlorenen Boden gutmachen. Verfügbar unter: https://www.eib.org/de/stories/europe-leading-innovation
EIB (2023). Innovation – Überblick 2023. Verfügbar unter: https://www.eib.org/de/publications/innovation-overview-2023
EU-Kommission (2024). Bericht zur Innovationsförderung in der EU. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/info/innovationsfoerderung.
Hochwarth, D. (2024). Experten sehen Milliardenlücke beim digitalen und grünen Wandel. Verfügbar unter: https://www.vdi-nachrichten.com/wirtschaft/finanzen/experten-sehen-milliardenluecke-beim-digitalen-und-gruenen-wandel/
IMF (2021). World Economic Outlook, April 2021: Managing Divergent Recoveries. Verfügbar unter: https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2021/04/06/World-Economic-Outlook-April-2021-50308
OCED (2022). OECD-Berichte zur Innovationspolitik: Deutschland 2022. Verfügbar unter: https://www.oecd.org/de/publications/oecd-berichte-zur-innovationspolitik-deutschland-2022_9d21d68b-de.html
Rourke, K., & Taylor, A. M. (2013). Cross of Euros. Journal of Economic Perspectives. Verfügbar unter: https://academic.oup.com/ej/article/124/581/F347/5070915.
Röhl, K., et al. (2021). Datenwirtschaft in Deutschland: Wo stehen die Unternehmen in der Datennutzung und was sind ihre größten Hemmnisse? Verfügbar unter: https://www.iwkoeln.de/studien/klaus-heiner-roehl-lennart-bolwin-wo-stehen-die-unternehmen-in-der-datennutzung-und-was-sind-ihre-groessten-hemmnisse.html
The Global Economy (2021). Ausgaben F&E (Forschung & Entwicklung) – Land-Rankings. Verfügbar unter: https://de.theglobaleconomy.com/rankings/research_and_development/OECD/
WEF (2023). Global Competitiveness Index. Verfügbar unter: https://www.weforum.org/about/the-global-competitiveness-index-gci-5-0/