Es gibt Begebenheiten in denen der Markt unvollkommen ist und eine pareto-effiziente Allokation nicht zu Stande kommt. Solche Fälle werden in der Ökonomie Marktversagen genannt. Das angebliche Versagen des Marktes ist die häufigste Begründung für staatliche Eingriffe in den freien Markt. Seit der Finanzkrise von 2008 ist ein exorbitantes Wachstum solcher Staatseingriffe zu verzeichnen. Neue Regulierungen, welche vermeintliche Marktversagen in der Finanzbranche beheben sollen, schissen wie Pilze aus dem Boden (1). Dabei wird oft vernachlässigt, dass Marktversagen auch ohne staatliche Eingriffe behoben werden kann (2). Zudem ist es bei einer solchen Anzahl und Häufung von staatlichen Eingriffen und der daraus resultierenden Regulierung fraglich, ob es sich dabei immer um ein Versagen des Marktes handelt.

Beispiele dafür gibt es in der Finanzindustrie zu Hauf. So wurde im Nachgang der Finanzkrise bemängelt, dass die drei grossen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch eine marktbeherrschende Stellung innehaben (95% Marktanteil). Mit neuer Regulierung soll dies bekämpft werden. Worauf diese Marktsituation zurückzuführen ist, interessiert selbstredend niemand. Tatsache ist, dass sie auf eine staatliche Massnahme von 1975 zurückzuführen ist. 1975 erklärte die US-Regulierungsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) die drei Institute zu Nationally Recognized Statistical Rating Organizations (NRSRO) und diese hatten so, fort an quasi einen öffentlichen Status (3). Erst dies ermöglichte ihnen eine derart marktbeherrschende Stellung zu erlangen. Nun sollen also neue Regulierungen diesen Fehler aus den 70er Jahren beheben. Es ist jedoch sehr bezeichnend, dass genau diese neuen Regulierungen mit gutgemeinten Kontrollmechanismen die Position der arrivierten Ratingagenturen schützen und stärken (4).

Ein weiteres Beispiel, welches sich ebenfalls in der vergangenen Finanzkrise zeigte und ein schwerwiegendes Problem für die Stabilität der Finanzwirtschaft darstellt, ist die zu geringe Eigenkapitalquote der (Gross-)Banken. Dieses Problem wurde nach der Finanzkrise zu recht aufgegriffen. Aber anstatt zu hinterfragen, wieso die meisten Banken mit zu tiefen Eigenkapitalquoten arbeiten, wurde das Problem mit neuer Regulierung (vgl. Basel III) überlagert und so behoben, meint man zumindest. Dabei erkannten aber weder die Regulierungsbehörden noch die meisten Ökonomen die tieferliegenden Ursachen, geschweige den wurden diese angepackt. Finanzinstitute arbeiten grundsätzlich mit einer tieferen Eigenkapitalquote als Unternehmen aus anderen Branchen. Dies alleine ist jedoch nicht der Grund für die sehr tiefen bisweilen zu tiefen Eigenmittelquoten vieler Banken. Der Grund ist wohl auf einen steuerlichen Anreiz, welcher auf der steuerlichen Ungleichbehandlung von Fremd- und Eigenkapital beruht, zurückzuführen. Zinsaufwand welcher bei Fremdkapital anfällt ist steuerlich als Betriebsaufwand vom Gewinn abziehbar, die Kapitalkosten des Eigenkapitals hingegen nicht (5). Dies führt dazu, dass Unternehmen generell auf tiefere Eigenkapitalquoten setzen, als dies aus rein marktwirtschaftlicher Optik geschehen würde. Dieser Effekt ist insbesondere bei Publikumsgesellschaften ausgeprägt vorhanden. In den meisten Fällen und Branchen ist der steuerliche Anreiz unproblematisch, weil die Eigenkapitalquote auch dann noch genug hoch ist (zum Beispiel 50% statt vielleicht 55%). Bei Banken und in der Finanzbranche generell ist dieser Anreiz jedoch problematisch und insbesondere bei grossen Publikumsgesellschaften – wie den Grossbanken – gefährlich. Dies nicht nur für die einzelne Bank, sondern für das ganze Finanzsystem, da jene Banken meist systemrelevant sind und bei einem Konkurs das ganze Finanzsystem in die Tiefe ziehen könnte (6). Diese Tatsache zeigt, dass besagter steuerlicher Anreiz in der Finanzbranche ein Fehlanreiz ist, welcher zu unabsehbaren Folgen führen kann. Leider wird dieser Fehlanreiz nur von Wenigen erkannt und von noch Wenigeren kritisiert. Man macht lieber neue Regulierungen, wie die Mindesteigenmittelanforderungen nach Basel III (7), welche nur die Symptome des Problems bekämpfen und nicht dessen Ursache: Ein staatlicher Fehlanreiz. Dies ist ein typisches Beispiel für staatliches Versagen. Es ist einfacher neue Regulierungen zu erlassen, als die eigenen Fehler einzusehen und die staatlichen Anreize und Regulierungen von Grund auf zu hinterfragen.

Das Finanzsystem ist voll von solchen Beispielen. Dies hat dazu geführt, dass das Finanzsystem heute von A bis Z durchreguliert ist, es jedoch weder sicherer noch transparenter, geschweige den durchschaubarer geworden ist. Es ist wohl eher das Gegenteil der Fall. Von den Marktversagen, von welchen immer wieder gesprochen wird, ist bei dieser dichte an Regeln jedoch weit und breit nichts zu sehen. Viel mehr liegt der Schluss nahe, dass es sich in den allermeisten – wenn nicht in allen – Fällen um ein Versagen des Staates handelt, welches nun durch neue staatliche Eingriffe gelöst werden soll. Dies tönt zwar paradox, ist aber mehr als plausibel, wenn man weiss wie staatliche Institutionen funktionieren und dass die politischen Parteien ungern ihre ideologischen Grundsätze über Bord werfen.


 

1: Buomberger, P. (2014). Warum die Regulierungsflut kaum zu stoppen ist. Von avenir suisse: http://www.avenir-suisse.ch/42142/warum-die-regulierungsdichte-zunimmt/

2: Guyer, P. (2015). Mikroökonomie III FS 2015 – Vorlesung 5. St. Gallen: Universität St. Gallen.

3: Pfanzelt, S. (2012). Die Regulierung von Rating-Agenturen in den USA und der EU: Eine Analyse der „domestic sources“ divergenter Politikentscheidungen. Berlin: Freie Universität Berlin.

4: Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 Des Europäischen Parlaments und des Rates. (2009). Brüssel: Amtsblatt der Europäischen Union.

5: Dwenger, N. (2011). Besteuerung und Finanzierungsstruktur von Unternehmen. Von Max-Planck-Gesellschaft: https://www.mpg.de/1239059/Besteuerung_Finanzierungsstruktur

6: Jäggi, S. (2010). Einführung in die Too-big-to-fail-Problematik. Von Die Volkswirtschaft – Plattform für Wirtschaftspolitik: http://dievolkswirtschaft.ch/content/uploads/2010/12/j%C3%A4ggi.pdf

7: Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähigere Banken und Bankensysteme . (2011). Von Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: http://www.bis.org/publ/bcbs189_de.pdf