Wenn es nicht um die Sache geht

In der Politik ist man sich viel gewohnt – Angriffe unter der Gürtellinie und Fakenews gehören nicht erst seit Donald Trump zum politischen Alltag. Nur allzu oft sind Journalisten in solche Angriffe verwickelt. So auch in diesem Fall. Am 29.10.2021 schrieb Niklaus Scherr – seines Zeichens Alt-Gemeinderat der Alternativen Liste – in der linken P.S. Zeitung einen Artikel über die Abstimmung Zürcher Energiegesetz. Dabei nannte er mich einen Fake-Mieter, weil ich angeblich noch in Wettswil im Elternhaus wohne. Er bezog sich dabei auf einen Eintrag von Telsearch. Dabei weiss so ziemlich jeder, dass die Einträge von Telsearch etwa so aktuell sind wie ein zehnjähriges Telefonbuch. Meinen richtigen Wohnort hätte Herr Scherr zudem ganz einfach auf meiner Webseite gefunden. Der journalistische Anstand würde zudem gebühren, dass man bei einer solch heftigen Anschuldigung die beschuldigte Person kontaktiert. Doch auch das hat Herr Scherr unterlassen. Dass Niklaus Scherr in seinem Artikel in zwei Absätzen nur auf meine Person zielt, kein einziges inhaltliches Argument zum Energiegesetz bringt und völlig sachfremde Informationen verwendet, um mich zu verleumden, muss ich wohl oder übel akzeptieren. In jedem Fall dachte ich, dass die Sache mit einem Korrigendum erledigt wäre, welches ich bei der Verlegerin SP-Nationalrätin Min Li Marti verlangte. Doch weitgefehlt – nun ging die Sache von vorne los. Wenige Stunden danach rief mich PS-Redaktor und SP-Gemeinderat in Olten Simon Muster wegen dem Korrigendum an. Anhand der Angaben auf meiner Webseite hatte Herr Muster herausgefunden, dass ich in der privaten Baugenossenschaft Letten wohne. Anstatt nun ein einfaches Korrigendum zu verfassen, schrieb Herr Muster einen neuen Artikel über mich, indem es mit keinem Wort, um die journalistischen Verfehlungen seiner Zeitung ging, sondern um meinen Wohnort, die Frage ob ich selbst von höheren Mieten betroffen sein könnte und wieviel ich womöglich verdienen würde – ich kann Herrn Muster im Übrigen beruhigen, ich habe bis heute noch nie mehr als 60‘000 Franken verdient. Das Korrigendum hat Herr Muster bei der Erstveröffentlichung auf der Webseite dieser Zeitung zudem vergessen. Und vom journalistischen Anstand scheint leider auch er nichts mitbekommen zuhaben. Seriöse Journalisten lassen Zitate aus Gesprächen gegenlesen und freigeben. Weder das eine noch das andere hat Herr Muster getan. Da muss man sich schon fragen, ob es den Journalisten der P.S. Zeitung wirklich um Journalismus und die Sache geht oder wohl eher um Politik mit anderen, unschönen Mitteln.

P.S. Wenn die Weltwoche oder der Tagesanzeiger mit linken Akteuren nur annähernd das Gleiche abziehen, ist der Aufschrei im linken Lager gigantisch. Aber wenn es um einen bürgerlichen Politiker und Mitarbeiter aus der Mineralölbranche geht, dann ist das alles legitim. Wie sagte George Orwell so schön: „Alle sind gleich, aber manche sind gleicher.“


Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus oder doch ein Sturm im Wasserglas

Sollten die Vorwürfe – Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus –  von Patrizia Laeri und Fabio Canetg zutreffen, dann hat die SNB ein Problem, welches sie dringend angehen müsste. Doch schauen wir uns den Artikel mal genauer an.

Zu Beginn des Artikels schreiben die Autoren: “Über ein Dutzend Frauen berichten von Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus.” Das sitzt. Ein Skandal diese SNB. Mit grosser Neugier und mit etwas Wut lese ich weiter. Thomas Jordan wird von einer anonymen Informantin als «Mr. Konservativ» bezeichnet. Ich denke mir: Recht hat sie. Als sich die Autoren dem Thema Bewerbungsgespräche widmen, werde ich ein erstes Mal stutzig. Eine Informantin sei bei ihrem Bewerbungsgespräch nach “ihrer politischen Meinung zur SNB-Anlage­politik befragt worden”. Die meisten werden nun denken: “Wie kann man nur jemand nach seiner politischen Meinung fragen, geht gar nicht!”

Als Ökonom denke ich was ganz anderes: Nah hoffentlich fragen sie die Kandidatin nach ihrer Meinung zur Anlagepolitik der SNB. Die Anlagepolitik ist eine der zentralen Tätigkeiten der Nationalbank. Es ist daher keine politische, sondern eine fachliche, berufsrelevante Frage. Jemand, der nicht hinter der Strategie und der Aufgabe der SNB stehen kann, ist wohl kaum geeignet dort zu arbeiten. Dies ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum ich nie bei der SNB arbeiten werde, obwohl es dort Jobs gibt, welche mich ungemein interessieren würden.

Zurück zum Text. Als nächstes lese ich von der Ökonomin Angela Cuomo. Sie wurde beim Jobinterview nach “ihrem aktuellen Lohn befragt. Das ist unzulässig.” Auch die anderen Geschichten zum Bewerbungsverfahren bei der SNB sprechen nicht gerade für die SNB. Die geschilderten Fälle sind (oder waren zumindest bis vor wenigen Jahren) jedoch nicht aussergewöhnlich und sprechen für eine konservative Haltung seitens der SNB. Jedoch nicht für “Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus.”

Als nächstes stolpere ich über den Satz: In “«mehreren» Fällen, in denen Frauen am Arbeitsplatz unter so starken Druck gesetzt wurden, dass sie unter Tränen ihre Büros verliessen.” Zuerst denke ich: Ein Skandal diese SNB. Doch dann frage ich mich: Was ist mit “unter Druck setzen” gemeint und was hat dies mit «ganz normalen Alltagssexismus» zutun. Als Erklärung folgt der Fall von Ruth Huber bzw. die Fälle. Frau Huber erzählt von ganz vielen verschiedenen Geschichten. “Huber sagt von sich, sie sei «sexistische Sprüche eigentlich gewohnt».” und bei der SNB sei alles noch viel schlimmer. Ich schlucke zwei Mal leer und denke schon wieder: Ein Skandal diese SNB. Und ich will wissen, wie dieser Sexismus konkret aussieht.

Ich werde nicht enttäuscht. Zwei Absätze später folgt ein konkretes Beispiel: “Eine andere, ehemalige Mitarbeiterin berichtet uns von einem Vorgesetzten, der ihr während der Arbeit erklärt habe, wofür ihre Geschlechts­organe gut wären.” Und denke: Was für ein Arschloch. Doch ich denke (leider) auch: Solche Arschlöcher gibt es leider überall. Diese Sache der Firma in die Schuhe zu schieben, ist ein bisschen gar einfach. Als nächstes lese ich “Ruth Huber meldet einen Teil der Missstände irgendwann ihrem Chef.” Richtig so, denke ich. Doch welche Missstände konkret gemeint sind, bleibt mir ein Rätsel. Das genannte Beispiel betraf nicht Frau Huber.

Ich beginne den nächsten Abschnitt “Abfällige Kommentare” zu lesen und denke: Ah jetzt kommen die konkreten Missstände von Frau Ruth. Doch ich werde enttäuscht. Was ich da lese, sind zwar für Frau Huber keine erfreulichen Erfahrungen, aber mit “Mobbing und Sexismus” hat dies jedoch wenig bis nichts zu tun. Die geschilderten Fälle zeugen jedoch von einer konservativen Unternehmenskultur.

Auf die Schilderungen von Huber folgt ein Klassiker: Die SNB betreibe Lohndiskriminierung. Hier kommt erneut die Ökonomin Angela Cuomo zu Wort, welche über Jahre zu wenig verdient habe. Der Fall als auch die von anderen Frauen sind für die Betroffenen sehr ärgerlich. Es wurden offensichtlich Fehler gemacht. Ob sich dabei aber wirklich um Lohndiskriminierung handelt, bleibt anhand des Textes unklar und muss deshalb bezweifelt werden.

Als nächstes folgt der Fall Ella Jansen, eine junge Makroökonomin. Und nun wird es wirklich absurd. Die Vorwürfe sind schlicht und einfach lächerlich. Aber der Reihe nach.

Jansen hatte sich mehrfach bei der SNB beworben und die Stelle jeweils nicht bekommen. Die Autoren schreiben dazu: “Mitunter ohne überzeugende Gründe.” Soso, dies ist leider eine leidige Erfahrung, welche man auf dem Arbeitsmarkt machen muss. Ist mir auch schon passiert. In der Folge fällt Jansen “das unausgewogene Geschlechterverhältnis bei der SNB auf” und schreibt der SNB einen Brief. Eine Antwort bekommt sie nicht und bewirbt sich weiterhin bei der SNB. Was dann geschieht, ist zwar etwas ungewöhnlich, aber nicht wirklich überraschend. Anstatt zu einem richtigen Bewerbungsgespräch eingeladen und befragt zu werden, werden Frau Jansen Fragen zu ihrem Brief gestellt und sie wird ermuntert ihre Bewerbung zurückzuziehen. Was für ein Skandal aber auch. Was hat Frau Jansen erwartet? Das man ihr nach ihrem Brief, welcher die SNB kritisiert und der SNB eine frauenfeindliche Kultur vorwirft, den roten Teppich ausrollt und sie sofort einstellt?

Nach dem Fall Jansen lese ich noch, wieviel besser doch die FED und die EZB das Thema Frauenförderung anpacken. Ich denke mir: Ja man kann es sicher besser machen, als es die SNB heute macht, aber was die FED und die EZB machen, würde manche auch als Genderwahn bezeichnen.

Dass die SNB die Vorwürfe des Artikels zurückweist, verwundert natürlich nicht, insbesondere nicht, wenn man den Artikel gelesen hat. Viele Vorwürfe sind zu wenig konkret und weissen schlicht und einfach zu wenig bis gar nicht auf Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus hin. Zudem werden alle Vorwürfe anonyme geäussert und können daher nicht verifiziert werden.

Der Satz “Über ein Dutzend Frauen berichten von Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus.” verspricht etwas, was der Artikel nicht wirklich halten kann. Zwar werden drei Personen und ihre Fälle wirklich abgearbeitet und Vorwürfe von weiteren Informantinnen eingestreut, aber wirklich stringent und überzeugend ist das nicht. Insbesondere nicht, wenn man bedenkt, dass die drei Personen und ihre Geschichte, welche nicht wirklich überzeugen, die klarsten Fälle sein werden, ansonsten hätten die Autoren andere Fälle proträtiert.

Mich wird der Verdacht nicht los, dass hier absichtlich eine Geschichte skandalisiert wird. Ja, die SNB hat sicherlich Verbesserungspotential, was ihre Unternehmenskultur und die Attraktivität für Frauen anbelangt, aber dies ist nun wirklich keine Überraschung und auch nicht neu. Mein Verdacht hat auch mit der Autorin Patrizia Laeri zutun, welche sich seit Jahren darauf einschiesst, dass die Welt und insbesondere die Schweizer Wirtschaft ein Problem bzgl. Frauen hat und mit ihrer Kolumne #aufbruch gerne skandalisiert. Was das Ziel dieser Skandalisierung ist, wird im letzten Absatz klar: Man will die Politik dazu bewegen, sich mehr in die Angelegenheiten und Geschäftspolitik der SNB einzumischen. Das ist gefährlich. Ich habe fertig.


Mehr Pioniergeist – mehr Escher braucht das Land

Matthias Daum möchte Alfred Escher von seinem Sockel holen und Eschers Statue vor dem Zürcher Hauptbahnhof am liebsten entfernen. „Die Schweiz braucht keinen neuen Alfred Escher“ so Daum.

Doch genau das Gegenteil ist richtig. Die Schweiz braucht dringend mehr Alfred Escher. Mehr Pioniergeist wie ihn Alfred Escher hatte. Zwar hat Matthias Daum Recht, wenn er sagt, dass auch Escher nicht perfekt war und seine Makel hatte. Doch dies schmälert seine historische Leistung in keinster Weise. Alfred Escher hat die moderne Schweiz geprägt, wie kaum eine andere Person in der Geschichte. Personen wie Alfred Escher ist es zu verdanken, dass die Gründung des Schweizerischen Bundesstaats eine Erfolgsgeschichte wurde, welche auf der Welt seines Gleichen sucht. Mit einem unglaublichen Willen, Leidenschaft und viel Herzblut verfolgte er seine Vision einer modernen Schweiz mit einer freien Gesellschaftsordnung, in welcher der Staat gewisse zentrale Rahmenbedingungen setzt. Gegen alle Widerstände setze er seine Ideen um – Schweizerische Nordostbahn (heute Teil der SBB), Schweizerische Kreditanstalt (Credit Suisse), Eidgenössisches Polytechnikum (ETH Zürich) oder die Gotthardbahn, um nur einige zu nennen. Ohne diese Pionierleistungen wäre das Schweizer Wirtschaftswunder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum denkbar gewesen. Selbst England – das Mutterland der Industrialisierung – wurde von der Schweiz hinter sich gelassen. Gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf war die Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts das reichste Land der Welt.

Ähnlich wie vor der Gründung der modernen Eidgenossenschaft 1848 steht die Schweiz heute an einem Scheideweg. Das Land bringt seit längerem keine Reformen mehr zustande. Das Pro-Kopf-Einkommen stagniert seit Jahren. Das Verhältnis zur EU hängt wie ein Damoklesschwert über der Schweiz. Es braucht deshalb dringender denn je Personen, mit der Hartnäckigkeit und dem Pioniergeist von Alfred Escher, welche dieses Land weiterbringen. Eine Besinnung auf die liberalen Werte der Schweiz – Eigenständigkeit, Offenheit und Freiheit – tut not.


Faktenchecks halten oft nicht, was sie versprechen

Der wohl bekannteste Faktencheck der Schweiz ist der Faktencheck des Tagesanzeigers[2], in welchem regelmässig Aussagen von Politiker aus der Sendung Arena des Schweizer Fernsehens auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Der Tagesanzeiger verpflichtet sich bei seinen Faktenchecks dem «code of principles» des internationalen Fact-Checking-Netzwerks[3]. Dieser Kodex ist zwar vorbildlich und sicher eine gute Grundlage für einen guten Faktencheck, ist aber gleichzeitig auch sehr allgemein formuliert, so dass er die Vermischung von Fakten und Meinungen und die selektive Verwendung von Fakten kaum verhindert. Selbiges gilt auch über den Teil in dem der Tagesanzeiger aufzeigt, wie der Faktencheck erstellt wird[4]. Alles in allem aber bildet die Erklärungen «So arbeitet das Faktencheck-Team» eine gute Grundlage für den Faktencheck des Tagesanzeigers.

Anhand des Faktenchecks vom 9. September 2017[5]  zur Abstimmungs-Arena «Altersvorsorge 2020»[6] wollen wir nun überprüfen, ob der Faktencheck des Tagesanzeigers seine Versprechungen halten kann und ein guter und glaubwürdiger Faktencheck ist. Dieser Faktencheck besteht aus zehn Aussagen, welche überprüft werden. Dabei wurden jeweils fünf Aussagen der Befürworter und fünf der Gegner der Altersvorsorge 2020 untersucht. Schaut man die Aufteilung der Aussagen genauer an, so fallen zwei Begebenheit auf. Zum einen werden bei den Befürwortern eigentlich nur vier Aussagen untersucht, die fünfte Aussage ist ein Witz und wird auch als Bonus deklariert. Zum anderen fällt ins Auge, dass bei den Befürwortern von den (fünf bzw.) vier Aussagen (vier bzw.) drei von Bundesrat Berset und eine von CVP-Nationalrätin Ruth Humbel sind. Aussagen von Nico Planzer (Junge BDP) und Doris Bianchi (SGB) werden nicht überprüft. Bei den Gegnern hingegen werden von allen vier Diskussionsteilnehmern Aussagen geprüft, wobei bei Karin Keller-Sutter (FDP-Ständerätin) zwei Aussagen untersucht werden. Diese Ungleichbehandlung muss nichts heissen und ist auch nicht weiter schlimm, aber es hinterlässt schon einen fahlen Nachgeschmack. Zudem passt die Ungleichbehandlung nicht wirklich zum ersten «code of principle» des internationalen Fact-Checking-Netzwerks «a commitment to nonpartisanship and fairness».

Die erste Aussage, welche im Faktencheck untersucht wird, stammt von Alain Berset: «Die AHV hat einen Sanierungsbedarf von 18 Milliarden bis 2025. Das zeigt auch: Eine Ablehnung dieser Reform wäre das Schlimmste für die Jungen.». Der Tagesanzeiger stellt dabei fest, dass die ganze Aussage weder richtig noch falsch sei. Zwar sei die Zahl, welche Berset nennt, richtig – der zweite Satz der Aussage sei aber mehr Spekulation. Grundsätzlich kann man dieser Einschätzung des Tagesanzeigers zustimmen, trotzdem hat sich hier ein Fehler eingeschlichen. Die Aussage von Berset besteht aus zwei Sätzen. Im ersten Satz nennt Berset einen Fakt und im zweiten Satz seine Einschätzung und Meinung zu diesem Fakt. Persönliche Meinungen und Einschätzungen sind jedoch keine Fakten, welche man überprüfen kann, deshalb kann man eigentlich nur den ersten Satz kontrollieren. Dieser eine Satz von Berset ist richtig, sowohl die Zahl stimmt als auch die Aussage es handle sich dabei um einen Sanierungsbedarf, wenn man die gesetzlichen Vorgaben und der Zahlen des BSV betrachtet[7].

Die zweite Aussage im Faktencheck stammt von Roland Eberle (SVP-Nationalrat und Gegner): «Es gibt nichts auszugleichen. Die Renten in der 2. Säule sind zu 100 Prozent ausgeglichen über die Massnahmen in der 2. Säule.» Der Tagesanzeiger stellt dabei fest, dass die Aussage falsch ist. Auch dieser Einschätzung kann man grundsätzlich zustimmen, weil nicht bei allen die Rente in der 2. Säule zu 100 Prozent ausgeglichen wird. Trotzdem ist die Sache nicht ganz so einfach, wie es der Tagesanzeiger darstellt. Auch hier könnte man die Aussage eigentlich in zwei Sätze aufteilen. Der zweite Satz ist ohne Frage falsch. Der erste Satz hingegen kann man auch als politische Einschätzung werten und deshalb schlecht «faktenchecken». Zudem ist es so, dass bei den Allermeisten die Senkung des Umwandlungssatzes durch Massnahmen in der 2. Säule ausgeglichen wird oder sogar überkompensiert wird, deshalb gibt es sogar Befürworter – wie der ASIP (Pensionskassen)[8] – welche sagen der Ausbau der AHV sei kein Ausgleich für die Senkung des Umwandlungssatzes, sondern ein Zusatz[9] und ein Ausgleich eigentlich unnötig[10].

Die dritte Aussage, welche im Faktencheck untersucht wird, stammt von Ruth Humbel: «Es gibt in diesem Land 500’000 erwerbstätige Frauen ohne 2. Säule. Gerade für sie bringt die Vorlage Vorteile.» Der Tagesanzeiger stellt dabei fest, dass die Aussage richtig ist. Hier verhält es sich ähnlich wie bei der Aussage von Berset: Der eine Satz enthält ein Fakt, der zweite Satz ist eine persönliche Einschätzung. Der Fakt bzgl. der erwerbstätigen Frauen ist – wie der Tagesanzeiger feststellt – richtig. Wie beim ersten Faktencheck bereits erläutert wurde, kann man den zweiten Satz eigentlich nicht «faktenchecken». Der Tagesanzeiger macht es trotzdem und vernachlässigt dabei wichtige Aspekte. Zum einen vernachlässigt der Tagesanzeiger, dass von diesen 500’000 erwerbstätigen Frauen, welches Teilzeitarbeitende oder bzw. und Tieflohnbezüger sind, ein Teil im Alter wohl oder übel Ergänzungsleistungen (EL) beziehen wird. Die meisten EL-Bezüger (78%[11]) werden von den 70 Franken mehr AHV nicht profitieren, weil ihnen gleichzeitig die Ergänzungsleistungen um denselben Betrag gestrichen werden oder der Anspruch auf EL verloren geht. Die Zahlen des BSV berücksichtigen zudem nicht, dass die AHV-Rente steuerpflichtig ist und EL nicht. Die steuerliche Ungleichbehandlung führt dazu, dass das steuerbare Einkommen der EL-Bezüger um 840 Franken steigt, obwohl sie nicht mehr Einkommen haben als vorher. Des Weiteren vernachlässigt der Tagesanzeiger, dass die Senkung des Koordinationsabzugs in der 2. Säule nicht nur positive Effekte hat, sondern auch Nachteile: Die Senkung des Koordinationsabzugs führt zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten und macht Teilzeitarbeitende und Tieflohnbezüger damit teurer. Am Ende des Tages haben diese zwar eine höhere Rente, sie haben aber auch massiv mehr einbezahlt. Ob die Vorlage für diese Frauen nun Vorteile bringt oder nicht, ist darum nicht zweifelsfrei zu beantworten und so bleibt die Frage bzw. die Antwort im Endeffekt mehr Meinung als Fakt.

Die vierte Aussage im Faktencheck stammt von Karin Keller-Sutter: «Wenn das Volk Nein sagt, ist der AHV-Ausbau vom Tisch.» Der Tagesanzeiger beurteil diese Aussage als richtig. Der Tagesanzeiger testet hier eine politische Einschätzung anstatt ein Fakt, was wie Anfangs ausgeführt wurde nicht geht.

Auch die fünfte Aussage im Faktencheck stammt von einem Gegner der Reform, Alessandro Pelizzari (Genfer Gewerkschaftsbund): «Die Reform ist nicht so dringend, wie man sagt. Die AHV hält sich nach wie vor relativ gut.» Im Faktencheck wird diese Aussage als eher falsch eingeordnet. Bei der Aussage von Herr Pelizzari handelt es sich um eine Art Mischung aus Fakt und Meinung. Ich bin der Meinung, dass hier ein Faktencheck durchaus zulässig ist. Betrachtet man die Situation der AHV rein rechtlich[12] so ist der Einschätzung des Tagesanzeigers vordergründig zuzustimmen. Betrachtet man jedoch auch die betriebswirtschaftliche Situation inklusive als auch exklusive der Bundessubventionen, so wird die Sache um einiges komplizierter. Betrachtet man die Situation der AHV betriebswirtschaftlich inklusive der Bundessubventionen so fällt auf, dass die AHV zwar Verluste schreibt, aber auch ohne Reform bis etwa 2030 in der Lage ist die Renten zu bezahlen[13]. Aus dieser Perspektive kann man also sagen, dass Herr Pelizzari’s Aussage richtig. Betracht man jedoch die betriebswirtschaftliche Situation ohne die externen Zuschüsse des Bundes (Bundesbeitrag, MwSt., etc.) so fällt auf, dass die AHV bereits seit den 1960er Jahren Verluste schreibt und der Umlageverlust heute 11.6 Milliarden beträgt[14]. Da politisch gesehen der rechtliche Rahmen entscheidend ist, kann man der Einschätzung des Tagesanzeigers zustimmen, auch wenn in dessen Argumentation entscheidende Aspekte fehlen oder zu kurz kommen.

Die sechste Aussage stammt wieder Bundesrat Berset: «Mit dieser Vorlage werden die Defizite nicht nur reduziert, sondern annulliert. Sie erlaubt es uns, in zwölf Jahren einen AHV-Fonds zu haben, der so gut dasteht wie heute.» Im Faktencheck wird diese Aussage als eher richtig taxiert. Ich stimme hier der Einschätzung des Tagesanzeigers zu, auch wenn die Formulierung von Berset «Defizite werden annulliert» etwas holprig und unpräzise wirkt. Dies ist wohl darauf zurück zu führen, dass Deutsch nicht Bersets Muttersprache ist und ändert deshalb auch nichts an der Beurteilung des Inhalts.

Nach Bundesrat Berset ist bei der siebten Aussage wieder eine Aussage einer Gegnerin, Salomè Vogt (Avenir Jeunesse), an der Reihe: «Mit dieser Reform wird meine Generation zu sehr belastet – die unter 30-Jährigen.» Im Faktencheck wird diese Aussage als eher falsch und ideologisch motiviert dargestellt. Auch hier haben eine Vermischung zwischen Fakt und Meinung. Man kann «faktenchecken» ob die Junge Generation (stark) belastet wird. Ob sie jedoch zu sehr belastet wird kann man nicht abschliessend klären, weil dies wieder eine persönliche Einschätzung ist. Es ist ohne Frage so, dass die Generation der unter 30-Jährigen mit der Altersvorsorge 2020 stark belastet wird, wie auch die Generation zwischen 30 und 45. Dies zeigen verschiedene Studien, Zeitungsartikel, Kostenrechner und die Zahlen des BSV[15]. Was aber der Tagesanzeiger hier macht, hat mit einem Faktencheck nicht viel gemein. Um zu eruieren ob die Jungen nun stark belastet werden oder nicht, vergleicht der Tagesanzeiger die Altersvorsorge mit einer einzigen Alternative[16]. Als wüsste man genau, wie die neue Reform aussehen würde, wenn AV2020 abgelehnt wird. Bei diesem Vergleich werden nur die Kosten berücksichtig, obwohl man die Belastung einer Person bzw. Personengruppe nur Anhand einer Kosten-/Nutzenanalyse bzw. des Saldos aller Ein- und Auszahlungen beurteilen kann. Besonders störend daran ist, dass Herr Fabian Renz – einer der Autoren dieses Faktenchecks – diesen unzureichenden Vergleich bereits in einem anderen Artikel vom 28. August 2017[17] verwendet hat. Obwohl er damals auf diesen Fehler hingewiesen wurde[18], wird dieser unzureichende Vergleich nun wiederverwendet. Da fragt man sich schon, ob wirklich die Aussage von Salomè Vogt ideologisch motiviert ist oder nicht doch der Check dieser Aussage.

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Abbildung 1: Rentenreform: Hohe Verluste für Junge bis Jahrgang 1974 (NZZaS)

Bei der achten Aussage, welche im Faktencheck untersucht wird, kommt zum dritten Mal eine Aussage von Bundesrat Berset zum Zuge: «Die 70 und 226 zusätzlichen Franken machen im Jahr 2030 lediglich 2 Prozent der AHV aus. Zu behaupten, das versenke das ganze System, stimmt einfach nicht.» Der Faktencheck ordnet diese Aussage als eher richtig ein. Wie bei der ersten Aussage von Berset besteht die Aussage aus zwei Sätzen. Der erste Satz enthält einen Fakt und der Zweite eine Meinung bzw. Einschätzung zu diesem Fakt. Die Rechnung bzw. die Zahlen, welche Berset im ersten Satz nennt sind, wie der Tagesanzeiger richtig feststellt, korrekt[19]. Der zweite Satz ist für einen Faktencheck nicht geeignet, weil er mehr Meinung als Fakt darstellt. Dies ist wohl auch der Grund, wieso der Tagesanzeiger diesen Satz in Verbindungen mit dem ersten als «zu salopp» einstuft.

Die neunte und letzte richtige Aussage im Faktencheck stammt von Karin Keller-Sutter: «Die Bauern haben Nachteile. Viele Bauern arbeiten nach der Pensionierung auf dem Hof der Kinder. Jetzt müssten sie dann AHV zahlen.» Im Faktencheck wird diese Aussage als eher falsch gewertet. Die Aussage von Karin Keller-Sutter ist jedoch inhaltlich nicht falsch, jedoch ist der erste Satz der Aussage unpräzise, weil die Aussage so vorgaukelt, die Bauern hätten absolut gesehen Nachteile. Richtig ist jedoch, dass die Altersvorsorge 2020 für die Bauern sowohl Vorteile als auch Nachteile hat. Der Bauernverband ist der Meinung, dass die Vorteile überwiegen.

Die Analyse der neun Checks des Faktenchecks zur Abstimmungs-Arena «Altersvorsorge 2020» zeigt ein mehr als durchzogenes Bild. Zwar gehen die meisten der neun Faktenchecks in ihrer Einschätzung von richtig oder falsch in die richtige Richtung. Jedoch ist es auch so, dass die meisten Aussagen nicht für einen Faktencheck geeignet sind, weil es sich (zumindest zum Teil) um Meinungen handelt und nicht um Fakten. Zudem enthält der Faktencheck auch grobe Fehleinschätzungen (siehe siebte Aussage). Des Weiteren fällt auf, dass immer wieder relevante Fakten ausseracht gelassen werden. Dies liegt wohl auch am Format des Faktenchecks, welcher pro Check aus zwei Absätzen und einem Fazit besteht. Ebenfalls als störender Punkt fällt die Ungleichbehandlung zwischen Befürworter und Gegner auf. Alles in allem muss man leider sagen, dass der Faktenchecks des Tagesanzeigers grobe Mängel aufweist und deshalb kein guter und glaubwürdiger Faktencheck ist. Des Weitern wird man aufgrund der Ungleichbehandlung, dem Auslassen von relevanten Fakten und der zum Teil fragwürdigen Beurteilung von Aussagen, den Verdacht nicht los, dass der Faktencheck des Tagesanzeiger im Falle der Altersvorsorge 2020 nicht neutral agiert.

Replik des Tagesanzeigers: Wie ausgewogen ist der Faktencheck?

 


[1] Fakt (Faktum): etwas, was tatsächlich, nachweisbar vorhanden, geschehen ist; [unumgängliche] Tatsache. (Duden)

Meinung: persönliche Ansicht, Überzeugung, Einstellung o. Ä., die jemand in Bezug auf jemanden, etwas hat (und die sein Urteil bestimmt) oder im Bewusstsein der Allgemeinheit [vor]herrschende Auffassungen hinsichtlich bestimmter [politischer] Sachverhalte. (Duden)

[2]https://www.tagesanzeiger.ch/collectionuebersicht/faktencheck/story/26470652

[3] https://www.poynter.org/international-fact-checking-network-fact-checkers-code-principles

[4] «Wie wir arbeiten» https://www.tagesanzeiger.ch/So-arbeitet-das-FaktencheckTeam/story/27065991

[5] https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/schadet-bersets-reform-den-jungen-die-altersvorsorge-020-im-faktencheck/story/16440863

[6] https://www.srf.ch/sendungen/arena/abstimmungs-arena-altersvorsorge-2020

[7] Anmerkung: Die Aussage von Berset ist nur wegen den gesetzlichen Vorgaben richtig. Rein betriebswirtschaftlich gesehen ist die Aussage falsch, weil die AHV für ihren Betrieb keinen AHV-Fonds mit einem Bestand von 100 Prozent einer Jahresausgabe braucht.

[8] http://www.dringendereform.ch/ & https://twitter.com/pensionskassen

[9] «Eine verbreitete Annahme ist es, dass die 70 Franken Zuschlag bei der AHV dazu da sind, die Senkung des Mindestumwandlungssatzes zu kompensieren. Richtig ist, dass mit den Kompensationsmassnahmen in der 2. Säule, die Senkung des Mindestumwandlungssatzes, bis auf wenige Ausnahmen, innerhalb der beruflichen Vorsorge kompensiert wird. Die monatlichen 70 Franken Zuschlag in der AHV sind zusätzlich. Und zwar für Neurentner, bei Annahme der Reform. Das Plafonds für Ehepaare wird von 150 Prozent auf 155 Prozent der Maximalrente erhöht.» Chatbot Daniela auf https://www.facebook.com/dringendereform.reformeurgente

[10] https://twitter.com/pensionskassenDJsWXoSXgAA-Y2p

[11] «Für EL-Bezügerinnen und -Bezüger kann die Verbesserung der AHV-Rente folgende Konsequenzen haben:

  • In den meisten Fällen (76 %) führt die Verbesserung der AHV-Rente zu einer entsprechenden Kürzung der EL, was damit zusammenhängt, dass es sich bei den EL um eine bedarfsabhängige Leistung handelt. Diese Personen verbleiben jedoch nach wie vor im EL-System und dessen Vorteile bleiben ihnen erhalten.
  • In 22 % der Fälle steigt das Gesamteinkommen der EL-Bezügerinnen und -Bezüger aufgrund der Mindestgarantie (garantierter EL-Mindestbetrag, wenn beispielsweise die Ausgaben das Einkommen um 10 Franken übersteigen) an. Bei diesen Personen bleibt der EL-Betrag unverändert, sie erhalten aber eine höhere AHV-Rente.
  • In 2 % der Fälle hat die Erhöhung der AHV-Rente aufgrund der besseren finanziellen Situation einen Austritt aus dem EL-System zur Folge. Die betroffenen Personen verlieren somit auch die mit dem EL-System verbundenen Vorteile.» https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ahv/reformen-revisionen/altersvorsorge2020/faq.html

[12] Siehe Fussnote 6.

[13]https://www.bsv.admin.ch/dam/bsv/de/dokumente/ahv/finanzperspektiven/Finanzieller_Ausblick_AHV_2035_Lesehilfe_d.pdf.download.pdf/Finanzieller%20Ausblick%20der%20AHV%20bis%202035%20Lesehilfe.pdf

[14] https://twitter.com/AlainS1991/status/904349749532393474, Quelle SRF ECO & BSV

[15] https://www.ubs.com/ch/de/swissbank/privatkunden/vorsorge/studien-analysen/_jcr_content/par/columncontrol_640435765/col1/linklist/link.0734589812.file/bGluay9wYXRoPS9jb250ZW50L2RhbS91YnMvY2gvc3dpc3NiYW5rL3ByaXZhdGUvaW5zdXJhbmNlL2RvY3VtZW50cy9hbHRlcnN2b3Jzb3JnZS0yMDIwLWxpY2h0LXVuZC1zY2hhdHRlbi1kZS5wZGY=/altersvorsorge-2020-licht-und-schatten-de.pdfhttps://nzzas.nzz.ch/notizen/rentenreform-hohe-verluste-fuer-junge-bis-jahrgang-1974-ld.1301475?utm_content=bufferdf3ef&utm_medium=social&utm_source=twitter.com&utm_campaign=bufferhttps://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/rentenreform-wir-erklaeren-wer-gewinnt-und-wer-verliert-131447055https://www.comparis.ch/saeule-3a/altersvorsorge/berechnenhttps://www.srf.ch/static/srf-data/data/2017/rentenrechner/#/de & https://www.parlament.ch/centers/documents/de/mm-sgk-n-2017-03-10-beschluesse-reform-2020-d.pdf

[16] SGK-NR (09.03.2017), https://www.parlament.ch/centers/documents/de/mm-sgk-n-2017-03-10-beschluesse-reform-2020-d.pdf

[17] https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/rentenplan-der-fdp-straft-juengere-und-aermere/story/20939020

[18] https://twitter.com/AlainS1991/status/902191573173231616

[19]https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ahv/reformen-revisionen/altersvorsorge2020/dokumentation.html

Titelbild: Screenshot https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/schadet-bersets-reform-den-jungen-die-altersvorsorge-020-im-faktencheck/story/16440863 


Das linke Gejammer über wissenschaftliche Berechnungen zur Altersvorsorge

Die Abstimmung über die Altersvorsorge 2020 ist zwar erst Ende September, aber der Abstimmungskampf ist bereits jetzt in vollem Gange. Dies liegt wohl daran, dass es dabei um die zentralsten Einrichtungen des Schweizer Sozialstaates[1] geht: AHV und Pensionskassen. So verwundert es auch nicht, dass dieser Abstimmungskampf bereits in dieser frühen Phase hochemotional und teilweise unter der Gürtellinie[2] geführt wird. Doch nicht nur die Emotionen spielen eine zentrale Rolle, auch die ökonomischen und finanziellen Folgen sind ein zentrales Thema, geht es bei der AHV und den Pensionskassen doch um hunderte von Milliarden, welche umverteilt beziehungsweise angelegt werden. Die Pensionskassen verwalten heute ein Vermögen von mehr als 800 Milliarden[3] und in der AHV werden jährlich über 40 Milliarden[4] an Rentnerinnen und Rentner ausbezahlt. Welche gigantischen Summen dies sind erkennt man, wenn man diese Zahlen mit Bruttoinlandprodukt der Schweiz von 645 Milliarden[5] vergleicht. Dieser Vergleich lässt erahnen, welche Auswirkungen eine Reform der beiden Eckpfeiler des Drei-Säulenmodels[6]auf die Schweizer Volkswirtschaft haben könnte. Auch die finanziellen Auswirkungen für einzelne Personen und Generationen sind nicht zu unterschätzen, wie zum Beispiel die Berechnungen der NZZ am Sonntag zeigten[7].

Wer ist der Pseudowissenschaftler?

Dieser Artikel und insbesondere die Reaktionen von linker Seite auf selbigen und andere Studien sind der Anstoss für diesen Artikel. So kritisierte der linke Ökonom und ehemalige SP-Nationalrat Rudolf Strahm in seiner Kolumne im Tagesanzeiger[8] insbesondere die Studie der UBS[9] als billige «Stimmungsmache gegen sichere Renten» oder als «pseudowissenschaftliche Angstmacher-Studie». Dabei ist es eher Herr Strahm, welcher in pseudowissenschaftlicher Manier gegen diverse Studien schiesst. Er stützt sich bei seinen Aussagen zwar auf Aussagen und Zahlen des BSV[10]. Doch gerade mit den Zahlen des BSV kommt man auf ziemlich ähnliche Zahlen wie in der Studie der UBS (Fussnote 7). Zudem fragt man sich, wieso Ökonom Strahm nicht selbst eine Studie verfasst mit welcher er die Erkenntnisse der UBS-Studie widerlegt. Es liegt die Vermutung nahe, dass er die Erkenntnisse und Zahlen der UBS nicht widerlegen kann. Des Weiteren hat Herr Strahm den Sinn und Zweck von Langzeitberechnungen bzgl. der AHV nicht wirklich verstanden. Wieso solche technische Bilanzen sinnvoll sind, hat meine ehemalige Professorin Monika Bütler in ihrer NZZ Kolumne[11] sehr gut dargelegt.

NZZ – die Ahnungslosen?

Die Reaktion von Herr Strahm blieb nicht die Einzige auf linker Seite. Auch der ehemalige Präsident der JUSO und heutige Nationalrat Cédric Wermuth kritisierte die Studien und Artikel aufs heftigste. So stempelte er den Artikel der NZZ am Sonntag als «doch eher billige Polemik gegen die AV2020»[12] ab. Dabei erklärt der Politikwissenschaftler Wermuth, dass die renommierteste Wirtschaftszeitung des Landes keine Ahnung von Ökonomie habe und die Funktionsweise der Altersvorsorge sowieso nicht verstanden habe. Aber der Reihe nach. Zuerst beschwert sich Wermuth über den, aus seiner Sicht, zu reisserischen Titel des Artikels, dabei sollte er doch langsam wissen, wie Journalismus bis zu einem gewissen Punkt funktioniert. In der Folge verdreht er das Hauptargument der Gegner der Altersreform 2020 «Die Jungen bezahlen die Zeche für diese Reform» in «Die Jungen bezahlen mit dieser Reform die Renten der Alten!». Cédric Wermuth macht hier also genau dasselbe, was er seinen Gegnern vorwirft: Er verdreht die Fakten so, dass sie seine Argumentation stützen.

AHV – ein ökonomisches Wunderwerk?

Darauf folgt der interessanteste Teil: In dem Wermuth die AHV und ihr Umlageverfahren zu einem ökonomischen Wunderwerk hochstilisiert und das Kapitaldeckungsverfahren zum ökonomisches Desaster verklärt. So behauptet er, dass die AHV Umverteilung von der erwerbstätigen Bevölkerung zu den Rentnern zu mehr Konsum und mehr Nachfrage führe und im Endeffekt sogar die Arbeitslosigkeit senken und die Wirtschaft stärken würde. Bei seiner Begründung stützt sich Wermuth mehrheitlich auf den Ökonom Werner Vontobel[13]. Ausgehend von der Leistungsbilanz erklärt er, dass Schweizerinnen und Schweizer unter ihren Möglichkeiten konsumieren, weil sie aufgrund des Leistungsbilanzüberschusses Jahr für Jahr Kapital in die Welt exportieren. So argumentiert Wermuth, dass Schweizerinnen und Schweizer mehr konsumieren sollten und dies am einfachsten zu erreichen sei, wenn man den Rentnern mit Hilfe der AHV mehr Geld zur Verfügung stelle, da diese heute ein tieferes Konsumniveau haben. Die Argumentation von Wermuth und Vontobel geht wohl zum einen auf die fehlerhafte Annahme vieler Keynesianer zurück, dass mehr Konsum auf Kosten von Investitionen (bzw. Sparen) immer gut ist[14], obwohl diese Annahme nicht einmal von den keynesianischen Modellen gestützt wird. Zum anderen unterscheidet Ökonom Vontobel nur unzureichend zwischen Konsum und Investitionen[15], obwohl diese Unterscheidung essentiell ist.

Es ist zwar richtig, dass wir aufgrund der hohen Exporte mehr konsumieren könnten, es ist jedoch sehr fraglich, ob dies wirtschaftlich sinnvoll ist und ob dieser Konsum nicht mehrheitlich zu einer Erhöhung der Importe führt, welche den positiven Effekt des höheren Konsums wieder zunichte macht[16]. Zudem führen die Auslandsinvestitionen (Kapitalexport) langfristig zu einer Erhöhung des Volkseinkommens über ausländische Kapitaleinkommen. Des Weiteren unterschlägt Wermuth die Opportunitätskosten der AHV bzw. eines AHV Ausbaus. AHV Gelder werden von Erwerbstätigen zu Rentnern umverteilt, in Folge dessen stehen diese Gelder den Erwerbstätigen nicht mehr zur Verfügung und diese können selbst weniger konsumieren oder investieren.

Es lässt sich festhalten, dass eine simple Umverteilung wie sie bei der AHV per Umlageverfahren geschieht, nicht zu einer Erhöhung der Nachfrage führt, da dadurch kein Mehrwert geschaffen wird: Die Menge an Ressourcen und Kapital bzw. Volkseinkommen bleibt unverändert. Ein positiver Effekt auf das Volkseinkommen ist zwar denkbar, wenn die Rentner mit dem umverteilten Kapital effizienter umgehen als die Erwerbstätigen[17]. Dieser Fall ist jedoch sehr unwahrscheinlich, weil es sonst einen freiwilligen und marktwirtschaftlichen Anreiz gäbe, diese Gelder von sich aus umzuverteilen. Die AHV ist zwar kein ökonomisches Wunderwerk und hat auf das Volkseinkommen praktisch keine positive Wirkung, ist jedoch für viele Rentner eine wichtige Einkommensquelle und hat deshalb eine grosse ökonomische Bedeutung.

Kapitaldeckungsverfahren – ein kapitaler Fehler?

Ebenfalls eine grosse ökonomische Bedeutung hat die 2. Säule, die berufliche Vorsorge (BVG) (siehe Absatz 1). Aus der Sicht von Cédric Wermuth bzw. Ökonom Vontobel sind die Pensionskassen aber ein ökonomischer Fehler: «In der Schweiz „versickert“ zu viel Rentenvolumen in der 2. Säule.». Auch hier kommt wieder die falsche Annahme «Konsum ist besser als Sparen» zum Tragen. Zudem behauptet Cédric Wermuth mehr oder weniger, dass investieren «in Zeiten von Überschüssen bei Unternehmen und Staat sinnlos ist, weil das Geld nirgends angelegt werden kann. Daraus resultiert dann auch der Druck auf den Umwandlungssatz.» Es ist zwar richtig, dass wir heute ein Anlageproblem haben, weil die Renditen an den Kapitalmärkten weltweit im Keller sind. Dies liegt jedoch nicht am von Wermuth behaupteten Zusammenhang, welcher im Übrigen falsch ist[18], sondern an der ultraexpansiven Geldpolitik der Zentralbanken, welche wir nun seit fast zehn Jahren erleben[19]. Zudem resultiert der Druck auf den Umwandlungssatz in der 2. Säule in erster Linie durch die stetig steigende Lebenserwartung und erst in zweiter Linie durch das anhaltende Tiefzinsumfeld[20]. Das schlecht Reden der 2. Säule hat leider seit längerem System. Schaut man die Sache jedoch empirisch an, so ist die 2. Säule und mit ihr das Kapitaldeckungsverfahren ein voller Erfolg. Der Erfolg geht sogar so weit, dass man heute den allermeisten Rentnern[21] höhere Renten auszahlen könnte, wenn man die AHV ebenfalls nach dem Kapitaldeckungsverfahren konstruiert hätte[22].


[1] http://www.geschichtedersozialensicherheit.ch/home/

[2] https://twitter.com/AGmur/status/879274600974233600

[3] http://www.handelszeitung.ch/unternehmen/pensionskassen-erholen-sich-vom-snb-schock-739994

[4] https://www.nzz.ch/schweiz/zahlen-und-fakten-zur-altersvorsorge-ahv-fonds-dreht-ins-minus-ld.110198

[5] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/volkswirtschaft/volkswirtschaftliche-gesamtrechnung/bruttoinlandprodukt.html

[6] Das Schweizer Altersvorsorgesystem besteht aus 3. Säulen: AHV (& IV), Pensionskassen und Private Vorsorge

[7] https://nzzas.nzz.ch/notizen/rentenreform-hohe-verluste-fuer-junge-bis-jahrgang-1974-ld.1301475

[8] http://www.rudolfstrahm.ch/stimmungsmache-gegen-sichere-renten/

[9] https://www.ubs.com/ch/de/swissbank/privatkunden/vorsorge/studien-analysen/_jcr_content/par/columncontrol_640435765/col1/linklist/link.1717503980.file/bGluay9wYXRoPS9jb250ZW50L2RhbS91YnMvY2gvc3dpc3NiYW5rL3ByaXZhdGUvaW5zdXJhbmNlL2RvY3VtZW50cy9hbHRlcnN2b3Jzb3JnZS1kZS5QREY=/altersvorsorge-de.PDF

[10] Bundesamt für Sozialversicherungen

[11] http://www.batz.ch/2017/06/rueckwaerts-im-ahv-zug-und-es-ist-allen-wohl-dabei/

[12] http://cedricwermuth.ch/nzz-am-sonntag-mit-doch-eher-billiger-polemik-gegen-die-av2020/

[13] http://www.werner-vontobel.ch/index.cfm?tem=1&spr=0&hpn=2&new=42

[14] http://www.misesde.org/?p=12875

[15] http://www.werner-vontobel.ch/index.cfm?tem=1&spr=0&hpn=2&new=48, Siehe letzter Absatz

[16] Gesamtwirtschaftliche Nachfrage einer offenen Volkswirtschaft: Y = C + I + G + EX – IM

[17] Wermuth und Vontobel setzen mit ihrer falschen Annahme «Konsum ist besser als Sparen» diesen Fall voraus. Sparen ist jedoch mindestens genauso wichtig. Sparen ist unverzichtbar: http://www.misesde.org/?p=12875, Absatz 6.

[18] Es ist zwar richtig, dass sich in einem solchen Umfeld Investitionen wohl geringere Renditen abwerfen, weil die Zinsen in solchem Umfeld in der Regel tiefer sind. Dies heisst aber noch lange nicht, dass Investieren sinnlos ist. Des Weiteren ist es so, dass die Welt noch nie so verschuldet war wie heute. Überschüsse von Staat und Privaten sind deshalb dringend nötig.

[19] https://www.srf.ch/sendungen/wirtschaftswoche/die-finanzmaerkte-sind-verzweifelt

[20] http://www.dringendereform.ch/news/2017-04-24-warum-der-umwandlungssatz-gesenkt-werden-muss

[21] Die Subventionen des Bundes an die AHV von rund 11 Milliarden würden wegfallen und diese könnten zum Teil dazu verwendet werden um die wenigen Rentner, welche in diesem Szenario schlechter gestellt werden, zu «entschädigen».

[22] Berechnungen von P. Eugster (2016) an Hand von Zahlen des BFS, http://www.tgl.ch/fileadmin/user_upload/tgl_uploads/Pictet_Shares_Empirical_study_de_1_.pdf und https://www.ch.ch/de/ahv-rente-berechnen/. So würde zum Beispiel ein Rentner, welcher 2014 pensioniert wurde und davor den Medianlohn von rund 6200 Fr./Monat verdiente rund 600-700 Franken mehr Rente pro Monat erhalten.


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