Die Finanzmarktregulierung ist gescheitert

Die Credit Suisse-Krise hat uns einmal mehr bewusst gemacht, dass das Bankenwesen inhärent
instabil ist. Seit Jahrzehnten bekämpft man diese Instabilität mit neuer Regulierung und scheitert Mal
für Mal.

Die moderne Finanzmarktregulierung fusst in den meisten westlichen Staaten auf den Erfahrungen
der 1930er Jahre. Das erste Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen wurde 1934 erlassen. Bis
zur Gründung des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht 1974 – gegründet als Reaktion auf den
Konkurs der deutschen Herstatt-Bank – war die Regulierung der Finanzmärkte eine rein nationale
Angelegenheit. Seit nun fast 50 Jahren versucht der Basler Ausschuss mit neuen Regulierungen der
Instabilität des Bankenwesens her zu werden. 1975 wurde der erste Report erlassen. 1988 wurde mit
Basel I das erste umfassende internationale Regelwerk implementiert. Basel II folgte 2004 und Basel
III 2010. Allein in den Jahren 2005, 2006 und 2010 wurden vom Basler Ausschuss jeweils 500 Seiten
und mehr veröffentlicht. Heute besteht allein das Basler Regelwerk aus Tausenden von Seiten. Doch
diese Regeln haben unser Finanzsystem nicht sicherer gemacht. Bankkrisen gehörten in den letzten
40 Jahren schon fast zum Alltag. Allein in der Schweiz mussten in den letzten 30 Jahren drei
Grossbanken vor dem Untergang gerettet werden: 1993 wurde die Schweizerische Volksbank von der
heutigen Credit Suisse durch eine Übernahme gerettet, 2008 die UBS vom Staat und nun die Credit
Suisse. Spätestens heute muss man festhalten: Die staatliche Regulierung des Finanzmarktes ist
grandios gescheitert.


Höhere Risiken und tiefere Eigenkapitalquoten
Wie die Zahlen der Schweizerischen Nationalbank zeigen, sind die Eigenkapitalquoten der Schweizer
Banken im Laufe des 20. Jahrhunderts deutlich zurückgegangen. «Ende des 19. Jahrhunderts wiesen
die beiden damaligen Grossbanken Schweizerische Kreditanstalt und Schweizerischer Bankverein
Eigenkapitalquoten von über 30 Prozent aus» (Amrein, 2016). Nach dem Zweiten Weltkrieg lag
dieser Wert noch bei rund zehn Prozent und bis zum Ende des 20. Jahrhunderts halbierte sich dieser
Wert noch einmal auf vier bis fünf Prozent– zeitweise erreichten die Schweizer Grossbanken eine
Eigenkapitalquote von gerade mal drei Prozent. «Berücksichtigt man die in früheren Jahren noch
höheren stillen Reserven, war dieser Rückgang sogar noch stärker.» (Amrein, 2016). Dasselbe Bild
zeigt sich, wenn man die risikogewichteten Aktiven – ein Ansatz, welcher mit Basel I eingeführt
wurde – betrachtet: «Das Eigenkapital hat auch im Verhältnis zu den Risiken markant abgenommen.»
(Amrein, 2016).


Mehr Eigenkapital, weniger Regulierung
Es liegt der Schluss nahe, dass der Abbau der stillen Reserven und der Rückgang des gewichteten
Eigenkapitals stark mit der Entwicklung der Regulierung wie Basel I zusammenhängt und deren
Rückgang auf das heutige Niveau erst ermöglichte. Die umfassenden Regulierungen und das daraus
abgeleitete Risikocontrolling wogen Banken sowie die Bankenaufsicht und Nationalbanken in
Sicherheit. Spätestens 2008 wurde dies aber als Illusion entlarvt. Die Finanzgeschichte der letzten
200 Jahre zeigt eindrücklich, dass es einen hohen Zusammenhang zwischen der Höhe der
Eigenkapitalquote der Banken und der Anzahl Bankkrisen gibt. Mehr Eigenkapital für Banken
bedeutet daher auch weniger Bankenkrisen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Ökonomen
und Wirtschaftshistoriker höhere Eigenkapitalquoten fordern. Mindestens 20 Prozent scheinen mir
aus historischer sowie ökonomischer Perspektive gesehen, der richtige Ansatz zu sein. Im Gegenzug sollte man die nutzlosen Regulierungen der letzten 50 Jahre abschaffen, um die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Banken zu erhalten. Idealerweise würde man sogar gänzlich auf
weitere Regulierungen verzichten.

Erschienen in den Schaffhauser Nachrichten am 30. März 2023.


Mehr Pioniergeist – mehr Escher braucht das Land

Matthias Daum möchte Alfred Escher von seinem Sockel holen und Eschers Statue vor dem Zürcher Hauptbahnhof am liebsten entfernen. „Die Schweiz braucht keinen neuen Alfred Escher“ so Daum.

Doch genau das Gegenteil ist richtig. Die Schweiz braucht dringend mehr Alfred Escher. Mehr Pioniergeist wie ihn Alfred Escher hatte. Zwar hat Matthias Daum Recht, wenn er sagt, dass auch Escher nicht perfekt war und seine Makel hatte. Doch dies schmälert seine historische Leistung in keinster Weise. Alfred Escher hat die moderne Schweiz geprägt, wie kaum eine andere Person in der Geschichte. Personen wie Alfred Escher ist es zu verdanken, dass die Gründung des Schweizerischen Bundesstaats eine Erfolgsgeschichte wurde, welche auf der Welt seines Gleichen sucht. Mit einem unglaublichen Willen, Leidenschaft und viel Herzblut verfolgte er seine Vision einer modernen Schweiz mit einer freien Gesellschaftsordnung, in welcher der Staat gewisse zentrale Rahmenbedingungen setzt. Gegen alle Widerstände setze er seine Ideen um – Schweizerische Nordostbahn (heute Teil der SBB), Schweizerische Kreditanstalt (Credit Suisse), Eidgenössisches Polytechnikum (ETH Zürich) oder die Gotthardbahn, um nur einige zu nennen. Ohne diese Pionierleistungen wäre das Schweizer Wirtschaftswunder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum denkbar gewesen. Selbst England – das Mutterland der Industrialisierung – wurde von der Schweiz hinter sich gelassen. Gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf war die Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts das reichste Land der Welt.

Ähnlich wie vor der Gründung der modernen Eidgenossenschaft 1848 steht die Schweiz heute an einem Scheideweg. Das Land bringt seit längerem keine Reformen mehr zustande. Das Pro-Kopf-Einkommen stagniert seit Jahren. Das Verhältnis zur EU hängt wie ein Damoklesschwert über der Schweiz. Es braucht deshalb dringender denn je Personen, mit der Hartnäckigkeit und dem Pioniergeist von Alfred Escher, welche dieses Land weiterbringen. Eine Besinnung auf die liberalen Werte der Schweiz – Eigenständigkeit, Offenheit und Freiheit – tut not.


Eurokrise: Wie Europa die Grosse Depression wiederholt

Abstract

Die vorliegende Arbeit vergleicht die europäische Krise seit 2008 – bekannt als Eu­rokrise – mit der Grossen Depression der 1930er Jahre in Europa. Die Arbeit geht dabei der Frage nach, ob der europäische Währungsraum – ähnliche wie der Goldstandard in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – eine Fessel für die Volkswirtschaften Europas darstellt. Zur Beantwortung dieser Frage wird in einem ersten Teil die beiden Währungssysteme Goldstandard und Euro anhand der beiden theoretischen Ansätze Trilemma der Geldpolitik und optimale Währungsräume analysiert und verglichen. In einem zweiten Teil folgt eine Analyse und ein Vergleich der Ursachen und der Krisentypen der beiden Krisen. In einem dritten Teil werden die bei-den Krisen anhand verschiedener makroökonomischer Variablen verglichen. Im vierten und letzten Teil der Arbeit folgt eine Analyse der beiden Krisen anhand der Geld- und Fiskalpolitik. Die Arbeit zeigt auf, dass ein Währungssystem kann die Geldpolitik behindern und deren Handlungsspielraum einschränken. Diese Schlussfolgerung führt zum Fazit, dass der europäische Währungsraum – ähnlich wie der Goldstandard – eine geldpolitische Fessel für Europa darstellt.

Einleitung

Vor rund zehn Jahren schlitterte die Welt die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Börsencrash von 1929 und der Grossen Depression der 1930er Jahre. In den ersten zwölf Monaten der Krise brach die weltweite Industrieproduktion um über zehn Prozent ein. Der Einbruch erreichte damit dieselben Ausmasse wie 1930[1]. Anders als in den 30er Jahren konnte – dank des beherzten Eingreifens der Zentralbanken unter Führung der amerikanischen Zentralbank FED – jedoch ein anschliessendes Abgleiten der Weltwirtschaft in eine Depression vermieden werden. Trotzdem waren die Konsequenzen verheerend. Millionen von Jobs gingen verloren. In Europa und Nordamerika war 2010 rund jeder zehnte arbeitslos[2]. Die Industrieproduktion in den Vereinigten Staaten brauchte über sechs Jahre um das Vorkrisenniveau zu erreichen[3]. Trotz dieser massiven Einschnitte erlebte die USA wie auch die Weltwirtschaft seit 2010 einen stetigen Aufschwung. Etwas anders sieht hingegen die Lage in Europa aus. Sowohl die Industrieproduktion als auch das Bruttoinlandprodukts der Europäischen Union und der Eurozone liegen auch nach zehn Jahren immer noch unter dem Vorkrisenniveau[4]. Die Europäische Zentralbank (EZB) verharrt deshalb weiterhin im Krisenmodus. Auch wenn die EZB angekündigt hat ihr Quantitative Easing Programm per Ende des Jahres 2018 auslaufen zulassen, ist ein Ende des Krisenmodus nicht abzusehen. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika schafft es Europa und insbesondere die Eurozone seit Jahren nicht aus der Krise. Da stellt sich unweigerlich die Frage, weshalb die Eurozone nicht aus dem Schlamassel rauskommt, während andere den Krisenmodus seit längerem verlassen haben. Die ganze Situation erinnert stark an die Grosse Depression der 1930er Jahre, als Europa und die USA in den Fesseln des Goldstandards gefangen waren und über Jahre in einer Depression feststeckten. Wie die Arbeit von Barry Eichengreen zeigte, ermöglichte erst der Ausstieg aus dem Goldstandard einen Aufschwung und ein Ende der Depression[5]. Es stellt sich die Frage,  inwiefern sich die heutige Krise Europas mit der Grossen Depression in Europa vergleichen lässt und ob die Eurozone und das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) ebenfalls eine Art Fessel für die europäische Wirtschaft darstellt, welche einen nachhaltigen Ausbruch aus der Krise verunmöglicht. Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden die beiden Krisen – Grosse Depression in Europa und Eurokrise – miteinander verglichen. In einem ersten Teil wird anhand der Theorie der optimalen Währungsräume und dem Trilemma der Geldpolitik die Struktur der beiden Währungssysteme – Goldstandard und Europäischer Währungsraum – analysiert. Danach folgt eine Gegenüberstellung der Ursachen der beiden Krisen. Im dritten Teil wird der Ablauf der jeweiligen Krisen anhand von verschiedenen makroökonomischen Variablen verglichen. Im Zentrum dieses Vergleichs stehen die vier grössten Volkswirtschaften der Eurozone: Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Neben diesen vier Ländern werden weitere fünf Staat aus der Eurozone und sechs EU-Länder[6], welche nicht Teil der Eurozone sind, untersucht. In einem vierten und letzten Teil folgt eine Analyse der Fiskal- und Geldpolitik in den beiden Krisen.


[1] Eichengreen & O’Rourke: A Tale of two Depressions.

[2] OECD.

[3] FRED.

[4] OECD.

[5] Eichengreen: Golden Fetters.

[6] In der Analyse wird jedoch mit Dänemark ein Staat mehr zum Euroraum gezählt, da Dänemark seine Währung an den Euro gebunden hat. Korrelation zwischen dem dänischen und dem Euro-Zins beträgt 0.987.

Paper: Die Geschichte zweier Finanzkrisen: Ein Vergleich der Eurokrise mit der Grossen Depression in Europa


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